Wo Milch und Honig fließen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Wo Milch und Honig fließen: Roman' von C Pam Zhang
4.1
4.1 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Wo Milch und Honig fließen: Roman"

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:254
EAN:

Rezensionen zu "Wo Milch und Honig fließen: Roman"

  1. 5
    21. Mai 2024 

    Schmerzhafte Dekadenz

    Die namenlose Erzählerin befindet sich in einer Zeit, in der ein furchtbarer Smog die Erde überströmt und den Großteil von Flora und Fauna ausgelöscht hat. Die Menschheit überlebt, doch muss sie sich fast ausschließlich von Mungobohnenprotein ernähren. Einzige Ausnahme ist ein Berg in Italien: hier haben sich Superreiche angesiedelt, die neben frischer Luft auch viele Tierarten zur Verfügung haben, welche dort durch ein Labor wieder zum Leben erweckt worden sind. Die Reichen in ihrer Dekadenz essen was ihnen unter die Finger kommt, seien es die letzten noch lebenden Schimpansen oder längst ausgestorbene Mammutüberreste. Die Erzählerin arbeitet dort als Köchin und letztlich auch Schauspielerin, muss sie doch die Frau jenes Mannes mimen, der allen Reichen Investitionen in eine Insel der Seligen abluchsen will. Und sie fängt eine ungestüme Affäre mit dessen Tochter Aida an. Sie arbeitet nur einen Sommer dort, doch dieser sollte den Rest ihres Lebens verändern...

    "Wo Milch und Honig fließen" ist eine Dystopie, die dystopischer kaum sein könnte. Doch irgendwie ist sie anders. Die Menschen scheinen kaum Interesse daran zu haben, den Zustand der Erde wieder zu verbessern. Nein, die Reichen wollen unter sich bleiben und alle anderen scheinen sich mit der Situation abgefunden zu haben. Doch die Welt als Gesamtes hat in dieser Geschichte ohnehin nicht viel Bedeutung, viel mehr beschreibt die Erzählerin ihren Alltag am Berg - das Zubereiten von den verschiedensten Tieren, das Verschwenden von Nahrungsmittel, die dekadentesten Abendmahle, das grausamste Gesicht der Menschen, denen es nur um ihr eigenes Wohl geht. Am Berg gibt es ein ganz eigenes System und die Erzählerin passt sich - zwar nicht bereitwillig aber doch - an dieses an, fügt sich, lässt alles geschehen. Zentral ist ihre Beziehung zu Aida, die zerstörerisch, aber leidenschaftlich ist. Schmerzhaft ist die mutmaßliche Empathielosigkeit und Gleichgültigkeit, sowohl von der Erzählerin, als auch von allen anderen beschriebenen Charakteren. Ich konnte das Buch nicht auf einmal lesen, sondern brauchte Monate dafür - so mitgenommen war ich oft von der Dekadenz und der Wurschtigkeit. Aber loslassen konnte ich das Buch trotzdem nicht. Es ist in einer genialen Sprache verfasst und die Charaktere und Atmosphäre sind so speziell, dass sie sich nachhaltig ins Gedächtnis brennen. Die Geschichte plätschert dahin, ist langatmig und der Alltag scheint sich in einem fort zu wiederholen. Doch der letzte Teil ist dann rasant, mit vielen Wendungen und einem grandiosen Finish. Plötzlich versteht man alles und weiß, dass es doch um so viel mehr ging, als nur um den einen Sommer am Berg.

    Mein Fazit: "Wo Milch und Honig fließen" ist wahrlich kein einfacher Roman. Es ist eine Dystopie, welche die dunkelsten Seiten der Menschheit aufzeigt. Die Autorin brilliert mit einer ganz speziellen, etwas trägen Sprache und versteht es schräge Charaktere einprägend zu beschreiben. Das Lesen tut oft weh, aber das grandiose Finale belohnt einen fürs Durchhalten. Ein wirklich spezieller Lesegenuss!

  1. 4
    04. Mär 2024 

    Eine dekadente und opulente Dystopie

    „Wo Milch und Honig fließen“ - der aktuelle Roman der amerikanischen Autorin C Pam Zhang entführt uns zwar an einen Ort, an dem unfassbar viel gegessen wird. Doch hat der Schauplatz ihres Romans nur wenig gemeinsam mit den Phantasievorstellungen über das Schlaraffenland.
    Denn Zhangs Land, „Wo Milch und Honig fließen“ ist eine Dystopie der besonderen Art mit einem unfassbar guten Plot: Ein visionärer (oder größenwahnsinniger) Financier zieht sich inmitten eines Weltuntergangsszenarios auf einen Berg in den italienischen Alpen zurück, wo er nach einer Möglichkeit sucht, den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Denn aktuell wird die Erde von einer Umweltkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes bedroht, die in Kürze die Flora und Fauna der Erde vernichten könnte und somit auch die Lebensmittelversorgung der Menschheit. Für seinen ambitionierten Plan braucht er Investoren, die er mit kulinarischen Besonderheiten verwöhnen lässt, um ihnen die finanzielle Beteiligung an seinen Visionen schmackhaft zu machen. Dafür engagiert er eine Köchin, die in den letzten Jahren die Welt bereist hat und Erfahrungen in den unterschiedlichsten Länderküchen dieser Welt sammeln konnte. Die junge Frau – die in diesem Roman namenlos bleibt – erweist sich als wahre Wunderwaffe am Herd und begeistert die reichen Investoren, die regelmäßig bei dem Financier tafeln, durch unglaubliche kulinarische Kreationen.
    Die Köchin arbeitet unter merkwürdigen Bedingungen. Sie lebt auf diesem Berg nahezu isoliert, ihre Kontakte beschränken sich zunächst auf ihren Arbeitgeber und dessen Tochter sowie ein paar Helfern in der Küche. Den „Fress-Events“ wohnt sie nur bei, die Kommunikation mit den Gästen ist ihr dabei untersagt.

    Doch diese Anstellung bedeutet für sie eine Chance auf eine Zukunft, die für den Rest der Welt zwar ungewiss ist, doch für sie, die mit ihren Fähigkeiten zum engsten Kreis um den Financier gehört, aussichtsreicher erscheint. Gleich zu Beginn des Romanes erfahren wir, dass die Welt nicht untergegangen sein kann, denn die Ich-Erzählerin ist mittlerweile in den 60ern und erzählt ihre Geschichte im Rückblick auf ihre Zeit auf dem Berg vor etwa 30 Jahren.

    Bei einem Titel wie „Wo Milch und Honig fließen“ und einem Plot wie diesem kommt man gar nicht umhin, über das Thema Essen und Genuss zu sprechen. Wer einen Bezug zur Gastronomie hat, wird feststellen, dass die Autorin viel Recherchearbeit in ihr Buch gesteckt hat, was das Arbeiten in einer Restaurantküche betrifft. Denn die Begriffe, die sie rund ums Kochen und die Verarbeitung von Lebensmitteln verwendet, sind sicher nicht der Alltagsküche entnommen. Ihre Beschreibungen machen einen sehr professionellen Eindruck, so dass man der ich-erzählenden Köchin ihre besonderen Fähigkeiten gern abnimmt. Die Auswahl der Lebensmittel ist stellenweise sehr speziell, und man wundert sich, was in diesem Buch alles zubereitet und gegessen wird. Dies liegt nicht zuletzt an dem Arbeitgeber der Köchin, der sich als Selbstversorger erweist. Denn ihm gehören Labore, in denen Wissenschaftler als Teil seiner Vision, Genmanipulationen an Pflanzen und Tieren betreiben – womit wir bei einem der aktuellen Bezüge zu unserer heutigen Gesellschaft sind.

    Dieser Roman ist ein Sammelsurium an gesellschaftsrelevanten Themen, welche die Umwelt, Fragen der Moral und Ethik behandeln. Die Autorin stellt dem Leser unfassbar viele Denkansätze zur Verfügung, welche die Handlung in einer hohen Taktfrequenz begleiten. Wenn es etwas gibt, das ich an diesem Roman zu kritisieren habe, dann ist es definitiv, diese Aneinanderreihung unterschiedlicher Themen, die dem Leser kaum die Möglichkeit lässt, die jeweiligen Denkansätze weiterzuverfolgen. Kaum hat man sich in einem Thema eingerichtet, wird man durch den Handlungsverlauf davon fortgerissen, weil sich die Autorin bereits dem nächsten Thema zuwendet. Sie kratzt damit nur an der Oberfläche ihrer Gesellschaftskritik.

    Trotzdem habe ich diesen Roman gern gelesen, was an der Kombination aus dem besonderen Plot und der übersteigerten Darstellung der Fressgelage liegt, sowie dem kraftvollen und opulenten Sprachstil von C Pam Zhang, der perfekt zu der dargestellten Dekadenz passt, die während der Handlung immer wieder in den Vordergrund tritt. Schwamm drüber, dass es in diesem Roman auch Textstellen gibt, die in der sprachlichen Darstellung übertrieben wirken. Die Autorin arbeitet viel mit bildgewaltigen Metaphern, die sie - dem Thema angemessen - aus der kulinarischen Welt holt, was sich in mancher Szene nicht immer als geschickt erweist.

    Fazit:
    Eine Dystopie der anderen Art, mit einem Traum von einem Plot und einem beeindruckenden Sprachstil. Ein Roman, der zum Nachdenken anregt, aber aufgrund der Vielzahl an Themen wenig Gelegenheit lässt, die Denkanstöße, die er bietet, im Moment der Lektüre weiterzuverfolgen. Doch gerade deswegen wird dieser Roman bei mir nachhallen und mich noch einige Zeit beschäftigen. Da bin ich sicher!

    ©Renie

  1. Die Welt, in der keiner leben möchte...

    Als ich in den Vorschauen auf diesen Roman gestoßen bin, wurde ich als Liebhaberin asiatischer Literaturen sofort neugierig. Zwar hatte ich den Vorgängerroman "Wie viel von den Hügeln ist Gold" noch nicht gelesen - diese Geschichter schlummert noch auf meinem SUB - aber das ließ mich neutral an die Lektüre herangehen.

    Zunächst war ich überrascht, denn ich hatte nicht mit einer Dystopie gerechnet. Der Roman spielt im 22. Jahrhundert und entwickelt ein Szenario, das uns anschaulich vor Augen führt, in welche Richtung sich das Leben entwickeln könnte, wenn wir nicht endlich aufwachen und auf eine nachhaltige Lebensweise achten: Die in Peking geborene US-amerikanische Schriftstellerin C. Pam Zhang zeigt uns eine mögliche Welt nach der Klimakatastrophe. Durch eine Smog-Wolke wurde die Sonne verdunkelt und es gibt nunmehr weder fruchtbare Böden, noch Nutztiere. Die Ernährung hat sich komplett verändert: In Europa ernähren sich die Menschen in erster Linie mit einem sog. Mungoproteinmehl. Der Verzicht auf frische und gesunde Lebensmittel ist natürlich insbesondere für Menschen, die auf diese angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, besonders schmerzhaft.

    Insofern ist es wenig erstaunlich, dass wir die Geschichte aus der Perspektive der Köchin dargeboten bekommen. Als Grenzen zunehmend geschlossen werden, ergibt sich für sie die Möglichkeit auf dem Berggipfel eines italienischen Dorfes als Köchin zu arbeiten. Sie landet inmitten eines Paradieses, in dem frische Lebensmittel im Überfluss noch vorhanden sind. Während sie selbst durch ihr Kochen Erinnerungen an vergangene kulinarische Genüsse wecken und so potentielle Geldgeber ausfindig machen will, lernt sie mit Aida eine junge und intelligente Frau kennen, die in unterirdischen Laboren ihren Beitrag zur Nachzüchtung von Nutztieren leistet, um die Biodiversität zu erhalten. Sie ist die Tochter des namenlos bleibenden Arbeitgebers, der seinen Reichtum einsetzt, um einigen wenigen, die ebenfalls reich sind, ein Leben zu ermöglichen, nach dem sich alle sehnen, dass aber für die meisten der Vergangenheit angehört. Zwischen der Köchin und Aida entwickelt sich eine Liebesbeziehung...

    Essen und Lust sind die zwei miteinander verwobenen Thematiken des Romans. Die eingehende massive Gesellschaftskritik an Klassenunterschieden, verantwortungslosem Umgang mit der Welt, in der wir leben v.a. in Bezug auf Klima und Biodiversität sowie auch die Tabuisierung queerer Liebe werden von Zhang auf die Spitze getrieben und münden in eine Dystopie, die gerade aufgrund ihrer Realitätsnähe sehr erschreckend und bedrohlich zugleich wirkt. Diese dystopische Welt hat Zhang sehr gut gezeichnet, auch wenn ich mir an manchen Stellen noch mehr und genauere Details erhofft hätte. Das Thema dieser Dystopie ist hochaktuell; allein deswegen wünsche ich dem Roman viele LeserInnen. Jedoch will ich nicht verschweigen, dass mich der Roman über weite Strecken dennoch nicht richtig packen konnte. Ich denke, es liegt an der integrierten queeren Liebesgeschichte und der distanzierten Art der Figurenzeichnung insgesamt. Neugierig geworden auf die Autorin bin ich allemal und werde daher sicher bald ihren Erstling von meinem SUB befreien.

  1. Eine sprachlich beeindruckende Dystopie

    Als großer Fan von C Pam Zhangs Debütroman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ habe ich mich mit großer Vorfreude auf diesen Roman eingelassen, der mich vom Thema her aus meiner Komfortzone führt. Die namenlose Ich-Erzählerin wird „eines Tages, als das Leben schon vorbei ist“ von einer jungen Studentin über das eine Jahr befragt, das sie mit Ende Zwanzig als Köchin in einer Kolonie auf einem Berg der italienischen Alpen verbrachte. Dieses Land, wo Milch und Honig fließen, gibt es nicht offensichtlich mehr, die Erzählerin stellt sich ihren schmerzlichen Erinnerungen.

    In ganz Europa herrscht damals eine dramatische Umweltkrise. Der Smog ist dermaßen dicht, dass die Sonne nicht durchbrechen und kaum noch etwas wachsen kann. Die Menschen müssen hungern, sie ernähren sich mit synthetischem Mungoproteinmehl. Die Erzählerin kann in der Ebene nicht mehr arbeiten, so dass sie als Köchin auf dem Berg anheuert. Dort hat ihr dubioser, geschäftstüchtiger Arbeitgeber zusammen mit seiner naturwissenschaftlich ausgebildeten Tochter Aida eine Kolonie gegründet, der ausschließlich Superreiche und ein paar notwendige Spezialisten angehören. Dort oben scheint das Paradies zu sein. Die Sonne scheint, Pflanzen wachsen. Darüber hinaus hat man unterirdisch große Labore eingerichtet, in denen nicht nur Lebensmittel produziert, sondern auch zahlreiche vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten mit genetischem Material erhalten oder neu erschaffen werden. Man will die Biodiversität fördern, verfolgt aber noch weitere, nicht klar umrissene Ziele.

    Die Köchin kann aus dem Vollen schöpfen, ihr stehen schier unendliche Vorräte der feinsten Leckerbissen zur Verfügung, um den Arbeitgeber, dessen Tochter und die für das Projekt bedeutsamen Gäste zu bewirten. Im Fortgang bilden die Drei eine funktionale Schicksalsgemeinschaft: Der Arbeitgeber besorgt finanzstarke Investoren, die hochintelligente Aida ist die kompetente Koordinatorin, und die Erzählerin muss in eine mysteriöse Rolle schlüpfen, aus der heraus sie Vertrauen, Glauben und Demut vermitteln soll.
    Überfluss, Verschwendung und Dekadenz stehen dabei im krassen Gegensatz zu den Zuständen der Ebene. Man schirmt sich ab auf dem Berg, zieht Zäune, stellt Grenzhüter auf. Das Zuviel an Nahrung wird achtlos weggeschmissen. Die Parallelen zu unserer gegenwärtigen Wohlstandsgesellschaft sind voll beabsichtigt. Neben den außergewöhnlichen Speisen werden Jagden seltener Tiere oder feudale Barbecues zelebriert, die den Leser zusammenzucken lassen.

    Während ihres Jahres auf dem Berg wird die Erzählerin immer wieder von Zweifeln geplagt. Sie selbst kann die exquisiten Speisen, die sie täglich serviert, nicht genießen. Auch hat sie Schwierigkeiten, sich den unklaren Zielen unterzuordnen, fühlt sich teilweise verloren und orientierungslos. Diese Gefühlslage übermittelt der Text perfekt. Nicht nur einmal muss sie sich der patriarchalen Gewalt unterwerfen. Entschädigt wird sie durch ihre wachsende Leidenschaft in der Beziehung zu Aida. Die Sinnes- und Gaumenfreude dominiert also mehrere Ebenen, das muss man mögen.

    Die dystopischen Lebensumstände werden beklemmend detailliert beschrieben. Die Sprache ist über weite Strecken bildgewaltig, drastisch und opulent, manche Sätze treffen geradezu ins Schwarze, wenn sie gegenwärtige Entsprechungen oder soziale Schieflagen metaphorisch beschreiben. Die Gegensätze, die Weltuntergangsstimmung, die Suche nach visionären Lösungen – all das wird wunderbar transportiert. Der Roman braucht Aufmerksamkeit, über weite Strecken ist er sehr detailverliebt und auch symbollastig. Ich persönlich habe mich an den ausufernden Koch-, Genuss- und damit verflochtenen Sexszenen gerieben, hier wurde für mein Empfinden zu dick aufgetragen, so dass sich der eigentliche Fokus verlor. Die Figuren bleiben wie oft in dystopischen Romanen kalt und distanziert. Ihre Schablonenhaftigkeit könnte aber gewollt sein, stehen sie doch für Entsprechungen in der realen Welt.

    Insgesamt hat mich der Roman nicht völlig überzeugt, auch wenn er im letzten Drittel leichter bekömmlich wird und auf ein versöhnliches Ende zusteuert. Als amerikanischer Gegenwartsroman kann er seine vielfältigen Botschaften nicht verbergen. Weniger wäre vielleicht mehr gewesen. Die Sprachvirtuosität von Autorin und Übersetzerin Eva Regul hat mich indessen begeistert.

    Ich lauere neugierig auf weitere Veröffentlichungen von C Pam Zhang, spreche meine Leseempfehlung unter leichtem Vorbehalt aus.

  1. Konnte mich leider nicht erreichen

    Wir erfahren direkt auf den ersten Seiten des Romans " Wo Milch und Honig fließen" von C. Pam Zheng, dass die Menschheit mit einer schweren Katastrophe zurecht kommen muss. Eine große Smogwolke sorgte dafür, dass nahezu alles an Vegetation sowie die meisten Tiere keine Chance mehr hatten. Es wurde ein Mehl aus Mungobohnen entwickelt, so dass die Menschen sich zumindest ernähren konnten. Die Ich—Erzählerin, die bis zum Ende namenlos bleibt, erzählt die Geschichte rückblickend.
    Sie als Köchin hat es schwer, der Genuss beim Essen bleibt aus, die Möglichkeiten sind mehr als begrenzt. Sie bewirbt sich auf ein verlockendes Stellenangebot, und bekommt den Job, obwohl sie ein wenig geschummelt hat. Da sie Schulden hat, ist bereit viele Abstriche zu machen, um diesen sehr lukrativen Job zu behalten.
    So landet sie auf einem Berg in Italien, und darf mit exotischen Lebensmitteln kochen, die ihr Arbeitgeber in Laboren züchtet. Seine Tochter Aida ist auf diesem Gebiet sehr talentiert und unterstützt ihren Vater. Das Gespann sucht ebenso nach Investoren, lockt sie mit kulinarischen Besonderheiten, die unsere Köchin kreieren soll. Bald stellt die Köchin fest, dass sie nicht wegen ihrer überragenden Kochkünste bleiben darf, sondern wegen ihrer Ähnlichkeit zu der Frau des Arbeitgebers, die vor einiger Zeit verschwunden ist. Sie soll in die Rolle dieser Frau schlüpfen….

    Das an sich ist ein vielversprechendes Setting, dass mich aber wegen der Umsetzung überhaupt nicht begeistern konnte. Die Beschreibungen der Mahlzeiten, der Herstellung der Lebensmittel ist so präsent, dass es mich von der Kernbotschaft nahezu abgelenkt hat. Dies, und eine ausufernde Sexszene , ließen mich oft frustriert zurück.
    Der Schreibstil der Autorin konnte mich größtenteils sogar begeistern, doch ich fühlte mich nie richtig wohl bei den Beschreibungen. Schade, da ich viel positives von einem anderen Werk gehört habe.

    Das Ende ist zwar stimmig, ist aber plötzlich ganz anders konzipiert, was für mich weitere Wirrnisse zur Folge hatte.
    Für mich war der Roman leider nichts, aber ich denke, er wird sicher in den Augen vieler bestehen können.

  1. 2
    10. Feb 2024 

    Konnte leider den hohen Erwartungen nicht standhalten

    Wenn man ein dystopisches Szenario schreiben möchte, hat man quasi einen ganzen Blumenstrauß an Varianten, wie die Menschheit ihr Ende finden wird, zur Verfügung. Seien es Pandemien, Überschwemmungen, nukleare Unfälle, verselbstständigte KI oder Zombie-Apokalypse. Pick one. C Pam Zhang wählt eine sehr interessante Prämisse für ihren neuen Roman. Diese Prämisse ist nicht gänzlich neu, klingt in dieser neuen Interpretation aber erst einmal sehr vielversprechend: Irgendwo in Iowa in einer nicht sehr fernen Zukunft kommt es zu einem menschengemachten Vorfall, der zu einer Kaskade mit weltweiter Smogbildung führt und somit zu einem massiven Pflanzen- und infolgedessen Tiersterben.

    Mithilfe der namenlosen Ich-Erzählerin, welche rückblickend von den damaligen Geschehnissen berichtet, wird die Thematik des Nahrungsmittelrückgangs betrachtet. Wir erfahren gleich zu Beginn, dass sie diese Katastrophe überleben wird, denn sie berichtet als ältere Frau von ihren Erlebnissen, ein scheinbarer Hoffnungsschimmer in einer so düsteren Szenerie. Unsere Erzählerin ist Köchin und kennt sich mit Haute Cuisine aus, weshalb sie sich auch aus Ermangelung an frischen Zutaten und daher konkretem persönlichem Frust, denn die meiste Nahrung besteht nur noch aus einer grauen Mungobohnenpaste, bei einem Milliardär bewirbt, ohne zuvor zu wissen, was auf dessen privatem Berg in Italien auf sie zukommen wird. Nun entspinnt sich aus ihrer Erinnerung heraus eine Erzählung über dekadentem Genuss, ein Kampf um die eigene Identität und eine mögliche Liebe.

    Dass C Pam Zhang schreiben kann, hat sie schon mit ihrem grandiosen Debütroman „Wie viel von den Hügeln ist Gold“ bewiesen. Auch im vorliegenden Werk erkennt man immer wieder ihre Sprachkunst, nur übertreibt sie es einerseits bezüglich der angerissenen und nie richtig ausgearbeiteten Themenbereiche und schafft es andererseits nicht ihren Protagonistinnen eine notwendige Tiefe mitzugeben. Sie hakt scheinbar alle aktuell relevanten Themen von Machtdynamik von Reichtum, Politik, Umwelt, Ausbeutung von Tieren, Fetischisierung ethnischer Gruppen bis zu sexueller Orientierung und und und ab. Die Autorin nutzt Sinneswahrnehmungen und Genuss, um Situationen zu beschreiben. Die Menschen und ihre Beziehungen dieser Menschen untereinander erscheinen dabei aber trotzdem erstaunlich blutleer und emotionslos. Ich konnte keinerlei Nähe zu den Figuren aufbauen. Zusätzlich werden die Beschreibungen der Ich-Erzählerin zunehmend von Löchern im Plot und Plausibilitätsproblemen gezeichnet, was es zusätzlich erschwert die Atmosphäre der Szenarien nachzuempfinden. Ich wurde dadurch regelrecht aus dem Lesefluss gerissen. Man könnte das dadurch erklären wollen, dass ja die Ich-Erzählerin als alte Frau von ihrer Zeit auf dem Berg erzählt, ja, für mich persönlich lässt sich damit nicht jeder Mangel begründen. Falls dieser Effekt von der Autorin intendiert wird, dann gefällt er mir zumindest nicht.

    Letztlich muss ich feststellen, dass der Roman, abgesehen von wenigen wunderbaren Sätzen und Formulierungen, für mich in keinster Weise qualitätsbezogen an den Vorgängerroman heranreicht. Es geht mir dabei nicht um den Inhalt, dieser unterscheidet sich natürlich stark. Und eine Dystopie, die eine dunkle, kalte zukünftige Welt darstellt, muss keineswegs in der Darstellung der Figuren und ihrer Beziehungen untereinander emotionslos sein. Hier ist dies meines Erachtens allerdings so, weshalb ich in Verbindung mit den oben genannten Problemen das Buch leider nicht weiterempfehlen kann.

    2,5/5 Sterne

  1. Üppig auf allen Ebenen

    C Pam Zhang
    Wo Milch und Honig fließen

    Der Roman beginnt in einer fernen Zukunft, die im weitesten Sinne postapokalyptische Züge trägt.
    Die Menschheit wird durch eine Naturkatastrophe globalen Ausmaßes eingeholt. Die Klimakatastrophe ist eingetreten: Die Erde ist von einem rätselhaften Smog heimgesucht worden, der „die Sonne verfinsterte und den Weizen in der kanadischen Prärie ebenso erstickte wie den harten gelben Reis auf den Feldern Perus.“ (S. 9)
    Die Böden sind unfruchtbar, Pflanzen und Tiere sind weitestgehend verseucht und vernichtet. Eine Hungersnot beherrscht Amerika und Südostasien. Der Smog erreicht Europa anderthalb Jahre später. In diesem Szenario macht sich eine namenlose Köchin auf den Weg nach Europa. Ihr Ziel ist eine Kolonie einer »Spitzenforschungsgemeinschaft« an einem geheimen Ort auf einem italienischen Berggipfel. Hoch oben am Gipfel breitet sich eine Idylle mit blauem Himmel, klarer Luft und Licht aus. Die Sonne steht im Kontrast zum Smog. Dort existieren noch frische Erdbeeren, Gemüse, das Fleisch längst ausgestorbener Tierarten, die in unterirdischen Laboren gezüchtet werden. Eine dekadente Gesellschaft kommt zusammen, um diese Köstlichkeiten zu genießen. Jedoch wird schnell klar, dass die vermeintliche Idylle dieser Berg-Enklave trügt. Der Anführer dieser Gesellschaft der Superreichen ist ein Tyrann, ein selbstherrlicher Mensch, der möglichst viele reiche Investoren für sein Biodiversitätsprojekt gewinnen will. Die Aufgabe der Köchin ist nicht nur zu kochen, sondern auch in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen für dieses abgekartete Spiel.

    Sie lernt seine Tochter, eine Forscherin und Genetikerin, kennen, freundet sich mit ihr an und gelangt so in die verborgenen Räume im Inneren des Berges.

    Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive der namenlosen Köchin erzählt. Mit wenigen Worten und Sätzen porträtiert die Autorin C Pam Zhang die Icherzählerin. Sie ist alt, „als mein Leben schon vorbei ist“. Im Hörsaal trifft sie auf eine junge Frau, höchstens „achtzehn oder neunzehn“, deren Aussehen zwar jung, aber ihre innere Haltung gegensätzlich zu ihrer Jugend steht. Sie interessiert sich für die Köchin und das löst bei der Icherzählerin schmerzliche Erinnerungen aus, die sie an einem Ort, den es nicht mehr gibt, erlebt hat.

    C Pam Zhang kreiert ihren Roman als Fest für die Sinne. Exotische Tiere, aus den unterirdischen Laboren gezüchtet, werden zubereitet und in dem Luxusrestaurant auf dem Berg verschlungen.

    Die Autorin stellt sehr eindrucksvoll zwei Welten gegenüber. Die Reichen, die im Licht der Sonne leben und die Armen die Sonne nur noch erahnen können. Deutlich werden die Gegensätze im Essen dargestellt. Der Überfluss auf dem Berg für die Einflussreichen, für eine Bevölkerung, die mächtig ist. Im Gegensatz dazu muss das Volk hungern. Es herrscht eine dystopische Weltuntergangsstimmung. Im Laufe der Erzählung werden immer wieder Einschübe aus dem Leben der beiden Frauen ersichtlich. Dadurch wird die Erzählstruktur sehr abwechslungsreich. Ernste und amüsante Dialoge lockern auf und immer tiefer dringen wir in ein surreales Geflecht von Machenschaften.

    Das Essen wird zelebriert in seitenlangen Sätzen mit einer unglaublichen Opulenz, bildlicher, sehr sinnlich wirkender Sprache. Im Kontrast werden die sehr realistischen und abgefahrenen Machenschaften aufgezeigt.

    Essen spielt eine wichtige zentrale Rolle in diesem System, denn ohne Nahrung überlebt der Mensch nicht.

    „Sicherlich verstehen Sie, welchen Nutzen Saavedra Saatgutbank bieten kann. (S. 93)

    Die Suche und Erprobung nach neuen Nahrungsmitteln verspricht viel Geld und somit Reichtum.

    „Sie können gerne auf Ihre Portion des sibirischen Mammuts verzichten, auf das unsere Mitarbeiter durch einen glücklichen Zufall bei der Ausgrabung von Saavedra Saatgutbank gestoßen sind.“
    (S. 96)

    Die in Peking geborene Amerikanerin C Pam Zhang spricht in ihrem neuen Roman viele Genres, viele aktuelle Themen an. Gesellschaftskritik, Religion und Politik spart sie nicht aus, ethische und soziologische Fragen stellt sie im Raum.
    Dazu verarbeitet sie eine exzentrische Liebesgeschichte zwischen Aida und der Icherzählerin, die sie durch ausgefallene Farbschilderungen mit Essen und Sex verbindet.

    C Pam Zhang inszeniert ihren Roman üppig auf allen Ebenen. Die Sprache ist facettenreich, die Symbolik überspannt alle Bereiche. Es entstehen Spannungsbögen mit Gegensatzpaaren, Licht und Schatten wechseln sich ab mit Üppigkeit und Kargheit. Extravagante Lebensmittel erzeugen ein Fest der Sinne zwischen Hunger und Appetitlosigkeit.
    Oftmals bekommt man das Gefühl, im Irrgarten sich zu befinden. Doch es gibt immer wieder neue Wege heraus in eine andere Richtung. Am Ende bleiben Fragen offen, die nur der/die Leser:in beantworten kann. Wie weit ist der Mensch bereit, sein eigenes Leben zu retten, um zu überleben? Zählen Privilegien dazu?

    Mit "Wo Milch und Honig fließt" hat C Pam Zhang einen Roman geschrieben, der mit unfassbaren, hochaktuellen Themen aufwartet.

  1. Üppig auf allen Ebenen

    C Pam Zhang
    Wo Milch und Honig fließen

    Der Roman beginnt in einer fernen Zukunft, die im weitesten Sinne postapokalyptische Züge trägt.
    Die Menschheit wird durch eine Naturkatastrophe globalen Ausmaßes eingeholt. Die Klimakatastrophe ist eingetreten: Die Erde ist von einem rätselhaften Smog heimgesucht worden, der „die Sonne verfinsterte und den Weizen in der kanadischen Prärie ebenso erstickte wie den harten gelben Reis auf den Feldern Perus.“ (S. 9)
    Die Böden sind unfruchtbar, Pflanzen und Tiere sind weitestgehend verseucht und vernichtet. Eine Hungersnot beherrscht Amerika und Südostasien. Der Smog erreicht Europa anderthalb Jahre später. In diesem Szenario macht sich eine namenlose Köchin auf den Weg nach Europa. Ihr Ziel ist eine Kolonie einer »Spitzenforschungsgemeinschaft« an einem geheimen Ort auf einem italienischen Berggipfel. Hoch oben am Gipfel breitet sich eine Idylle mit blauem Himmel, klarer Luft und Licht aus. Die Sonne steht im Kontrast zum Smog. Dort existieren noch frische Erdbeeren, Gemüse, das Fleisch längst ausgestorbener Tierarten, die in unterirdischen Laboren gezüchtet werden. Eine dekadente Gesellschaft kommt zusammen, um diese Köstlichkeiten zu genießen. Jedoch wird schnell klar, dass die vermeintliche Idylle dieser Berg-Enklave trügt. Der Anführer dieser Gesellschaft der Superreichen ist ein Tyrann, ein selbstherrlicher Mensch, der möglichst viele reiche Investoren für sein Biodiversitätsprojekt gewinnen will. Die Aufgabe der Köchin ist nicht nur zu kochen, sondern auch in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen für dieses abgekartete Spiel.

    Sie lernt seine Tochter, eine Forscherin und Genetikerin, kennen, freundet sich mit ihr an und gelangt so in die verborgenen Räume im Inneren des Berges.

    Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive der namenlosen Köchin erzählt. Mit wenigen Worten und Sätzen porträtiert die Autorin C Pam Zhang die Icherzählerin. Sie ist alt, „als mein Leben schon vorbei ist“. Im Hörsaal trifft sie auf eine junge Frau, höchstens „achtzehn oder neunzehn“, deren Aussehen zwar jung, aber ihre innere Haltung gegensätzlich zu ihrer Jugend steht. Sie interessiert sich für die Köchin und das löst bei der Icherzählerin schmerzliche Erinnerungen aus, die sie an einem Ort, den es nicht mehr gibt, erlebt hat.

    C Pam Zhang kreiert ihren Roman als Fest für die Sinne. Exotische Tiere, aus den unterirdischen Laboren gezüchtet, werden zubereitet und in dem Luxusrestaurant auf dem Berg verschlungen.

    Die Autorin stellt sehr eindrucksvoll zwei Welten gegenüber. Die Reichen, die im Licht der Sonne leben und die Armen die Sonne nur noch erahnen können. Deutlich werden die Gegensätze im Essen dargestellt. Der Überfluss auf dem Berg für die Einflussreichen, für eine Bevölkerung, die mächtig ist. Im Gegensatz dazu muss das Volk hungern. Es herrscht eine dystopische Weltuntergangsstimmung. Im Laufe der Erzählung werden immer wieder Einschübe aus dem Leben der beiden Frauen ersichtlich. Dadurch wird die Erzählstruktur sehr abwechslungsreich. Ernste und amüsante Dialoge lockern auf und immer tiefer dringen wir in ein surreales Geflecht von Machenschaften.
    Das Essen wird zelebriert in seitenlangen Sätzen mit einer unglaublichen Opulenz, bildlicher, sehr sinnlich wirkender Sprache. Im Kontrast werden die sehr realistischen und abgefahrenen Machenschaften aufgezeigt.

    Essen spielt eine wichtige zentrale Rolle in diesem System, denn ohne Nahrung überlebt der Mensch nicht.

    „Sicherlich verstehen Sie, welchen Nutzen Saavedra Saatgutbank bieten kann. (S. 93)

    Die Suche und Erprobung nach neuen Nahrungsmitteln verspricht viel Geld und somit Reichtum.

    „Sie können gerne auf Ihre Portion des sibirischen Mammuts verzichten, auf das unsere Mitarbeiter durch einen glücklichen Zufall bei der Ausgrabung von Saavedra Saatgutbank gestoßen sind.“
    (S. 96)

    Die in Peking geborene Amerikanerin C Pam Zhang spricht in ihrem neuen Roman viele Genres, viele aktuelle Themen an. Gesellschaftskritik, Religion und Politik spart sie nicht aus, ethische und soziologische Fragen stellt sie im Raum.
    Dazu verarbeitet sie eine exzentrische Liebesgeschichte zwischen Aida und der Icherzählerin, die sie durch ausgefallene Farbschilderungen mit Essen und Sex verbindet.

    C Pam Zhang inszeniert ihren Roman üppig auf allen Ebenen. Die Sprache ist facettenreich, die Symbolik überspannt alle Bereiche. Es entstehen Spannungsbögen mit Gegensatzpaaren, Licht und Schatten wechseln sich ab mit Üppigkeit und Kargheit. Extravagante Lebensmittel erzeugen ein Fest der Sinne zwischen Hunger und Appetitlosigkeit.
    Oftmals bekommt man das Gefühl, im Irrgarten sich zu befinden. Doch es gibt immer wieder neue Wege heraus in eine andere Richtung. Am Ende bleiben Fragen offen, die nur der/die Leser:in beantworten kann. Wie weit ist der Mensch bereit, sein eigenes Leben zu retten, um zu überleben? Zählen Privilegien dazu?

    Mit "Wo Milch und Honig fließt" hat C Pam Zhang einen Roman geschrieben, der mit unfassbaren, hochaktuellen Themen aufwartet.

  1. Wo ein starker Beginn auf ein schwaches Ende trifft

    Im Land „Wo Milch und Honig fließen“ kann man den Hungersnöten, dem Smog und der Hoffnungslosigkeit, die den restlichen Erdball beherrschen, entkommen. Dies zumindest glaubt die namenlose Erzählerin von C. Pam Zhengs Roman. Dafür gelten in der isolierten Gemeinschaft auf einem italienischen Berg ganz eigene Regeln, die das Leben reglementieren. Damit das Land ein Erfolg wird, braucht der immer nur als „Arbeitgeber“ bezeichnete reiche Geschäftsmann, der die Enklave ins Leben rief, zahlungskräftige Investoren, die er über dekadente Speisen, exklusive Events und vor allem dadurch, dass er sie dazu bringt, an das Projekt zu glauben, für sich einnimmt.

    Wie bei fast allen dystopischen Romanen, braucht es auch in C. Pam Zhengs Roman eine Weile bis man sich in der fremden neuen Welt zurechtfindet. Dennoch bleibt über weite Strecken des Romans eine gewisse Desorientierung und Verlorenheit erhalten, die nicht zuletzt daraus resultiert, dass die Protagonistin selbst von ihrer Umgebung und ihrem neuen Leben überfordert ist. Dazu bleibt, bedingt durch die zeitliche Distanz zwischen erzählendem und erlebendem Ich, einiges im Vagen – immerhin liegen zwischen dem Erzählen und dem Erleben einige Jahrzehnte, sodass die Erzählerin sich nicht immer zuverlässig erinnern kann oder will. Immer wieder entsteht der Eindruck von Selektion, von Auslassung und auch von Leserlenkung. Gerade der Beginn des Romans ist in dieser Hinsicht beeindruckend. Es gelingt zwar nicht eine Beziehung zur Erzählerin aufzubauen, da sie sehr distanziert und beobachtend auftritt und man nur wenig über sie erfährt, aber die ersten sechs Kapitel des Romans sind sehr spannend konzipiert und hochinteressant.

    Sprachlich konnte mich der Roman zu Beginn sehr begeistern, großartige Bilder, faszinierende Schilderungen - die Autorin kann großartig und beeindruckend schreiben. Diesem Leseeindruck wurde jedoch mit Kapitel 7 ein jähes Ende gesetzt, in dem die Erzählerin beginnt, ausufernd detailliert eine (sexuelle) Beziehung mittels Nahrungsmittelsymbolik zu beschreiben. Das Ergebnis ist eine überlange barock bis schwülstige Sexszene, von der man schon nach ein Paar Absätzen hofft, sie möge bald ein Ende haben, einfach weil hier nichts mehr so recht sprachlich zusammenpasst.

    Leider verlor mich der Roman in der Folge zunehmend. War ich im ersten Teil noch von der Anzahl der angesprochenen Themen beeindruckt und begeistert, dass diese ohne didaktischen Fingerzeig auskamen, hatte ich im zweiten Teil den Eindruck, dass alle Themen nur noch oberflächlich abgehakt wurden, nichts wurde hier angemessen behandelt oder zu Ende gedacht. Ärgerlich z.B. dass der Feminismus dann auf den allerletzten Seiten auch noch seinen kleinen versöhnlichen Auftritt bekommt – ein Sinnbild des Umstands, dass hier wirklich jeder aktuelle Bezug verarbeitet werden sollte. Dem Roman hätte die Entscheidung für einen genaueren Fokus sehr gutgetan.

    So oberflächlich wie die Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen fällt auch die Figurenzeichnung aus. Die Figuren bleiben schablonenhaft und auf ihre Motivationen reduziert, es gibt kaum Charakterisierungsmöglichkeiten, die über „James-Bond-Bösewicht“ oder eventuelle Motivationen hinausgehen. Hinzu kommt eine Handlungsführung, die wenig organisch wirkt, sondern eher den Eindruck erweckt, als wäre etwas bemüht um eine weitere Episode gerungen worden (Jagd, Stadtausflug). Zwar fing das vorletzte Kapitel mit seinem doch recht überraschenden Twist mich wieder kurzzeitig ein, die Hoffnung, dass der Roman stilsicher und überzeugend über die Ziellinie gebracht werden würde, wurde jedoch enttäuscht. Das letzte Kapitel passt kaum zum Rest des Romans, weder inhaltlich noch sprachlich. Das überzogene Pathos und die Offenbarungen, die nicht im Einklang mit dem restlichen Roman stehen, haben mich allenfalls verwundert, aber nicht überzeugt. Es wäre besser gewesen, knallhart zur entworfenen Dystopie zu stehen, als völlig unvermittelt emotional zu werden, nur damit der Leser vielleicht beruhigt aus der Düsternis dieser in Teilen durchaus auch mit abstoßenden Momenten versehenen Lektüre hervorgeht.

    Für mich ist der Roman leider ein sehr unstimmiges Werk, das eine starke erste Hälfte aufweist und in dieser mich auf allen Ebenen begeistert hat. Dann aber verliert der Text den Faden und die Ideen versiegen. Eine Leseempfehlung für die ersten sechs Kapitel, danach leider nicht mehr.

  1. Zeugin einer Katastrophe...

    ...das ist unsere namenlose Köchin. Inzwischen krank und alt, wird sie von einer ihrer Schülerinnen auf die Ereignisse angesprochen, die damals die ganze Welt veränderten und in den Abgrund reißen wollten. Also erinnert sich unsere Protagonistin an ihr jüngeres Ich. Sie erinnert sich an ihre bedenkenlose Jugend, als sie eine Gourmetköchin werden wollte und dafür in die Welt hinauszog, allein ihr Ziel vor Augen.

    Dann aber legte sich eine Smogwolke über die Erde und wollte nicht mehr weichen. Sie erstickte das Wachstum auf den Feldern, eine Hungerkrise erfasste die Welt. Wissenschaftler arbeiteten mit Hochdruck an Pflanzen, die ohne Sonnenlicht eine minimale Ernährung der Bevölkerung garantierten. Die Staaten reagierten mit panischer Abschottung und eifersüchtiger Kontrolle.

    Die Weg zurück in ihre Heimat, den USA, ist unserer Protagonistin verschlossen. Sie hat dort einen Schuldenberg hinterlassen, den sie nicht abzahlen kann. Aus der Not heraus bewirbt sie sich als Köchin in eine der wenigen, abgeschotteten, aber dekadenten Kolonien in den Hochtälern, die die Smoggrenze überschreiten, wo die Sonne noch zu sehen ist. Ihr ebenfalls namenloser Boss hat sich ein Refugium in den italienischen Alpen aufgebaut. Dort empfängt er mit seiner Tochter erlesene Gäste. Die Heimatlose soll sie dort bekochen, mit Lebensmitteln, die es sonst nirgendwo mehr gibt, sich aber ansonsten zurückziehen und anonym bleiben.

    Wider aller Erwartungen, freunden sich die Tochter Aida und unsere Köchin an. Die Vertrautheit wächst und mit ihr lüften sich auch die Geheimnisse des Berges. Unsere Köchin lernt die ungeheuerlichen Unterschiede zwischen Arm und Reich kennen und lässt sich schließlich vor den Karren eines Planes spannen, den sie erst durchschaut, als alles schon zu spät ist.

    Die surrealistisch anmutenden Szenen auf dem Berg, die perfiden Täuschungsmanöver seitens ihres Arbeitgebers, die ausufernden Beschreibungen von Liebe und Speisen, verwirren zunächst das Bild einer nahen Zukunft, die unter dem Klimawandel zusammengebrochen ist, und wo Neid und Not die Gesellschaftsordnungen verändern. Zur literarischen Unordnung von Religiosität, Sinnlichkeit und knallhartem Geschäftgebahren gesellt sich eine unzuverlässige Erzählerin... alles lädt dazu ein, das Buch wegen Verdachts auf schlampige Korrektur und undurchdachten Plots in die Ecke zu pfeffern. Die Katharsis für mein Unbehagen waren dann die Nachwehen des nur ein Jahr dauernden Aufenthalts unserer Bergbewohnerin. Sie verlässt die Kolonie und erkennt schließlich, die Fragilität des Heilsverprechens, die Unmöglichkeit, sich mit Macht und Reichtum von Menscheitsproblemen freikaufen zu wollen und die Eindimensionalität eines vermeintlichen Paradieses.

    Pam Zhang hat die Erinnerungen unserer Überlebenden ganz im Licht von Drogenkonsum, Überhöhung, Idealisierung und Verunsicherung einer damals noch jungen Frau stehen gelassen. Sie unterstreicht damit die Authentizität einer Zeugenaussage, die die Frage nach der Mitschuld im Raum stehen lässt.

    Eine herausfordernde Lektüre einer dystopischen Welt, die mit beiden Beinen fest im Hier und Jetzt verankert ist.

  1. Kann Kochen die Welt retten?

    Für literarische erdachte Dystopien bietet die Gegenwart mehr als genug Anreiz, „Wo Milch und Honig fließen“ der internationalen Bestseller-Autorin C Pam Zhang geht dabei einen sehr eigenen Weg. Wie der Titel schon vermuten lässt, finden sich biblische Anspielungen, aber auch das Kochen, Essen und Sinnlichkeit nehmen einen großen Raum ein.

    In den italienischen Alpen spielt ein namenlos bleibender „Auftraggeber“ mithilfe seiner Tochter Aida, einer Gentechnikerin, ein wenig Gott und erschafft abseits der von Umweltzerstörung und sozialen Unruhen geplagten Erde eine Art neues Paradies. Zumindest für diejenigen, deren Geldbeutel groß genug ist und die bereit sind, eine entsprechend hohe Summe zu investieren.

    Unverhofft gerät die ebenfalls namenlos bleibende Ich-Erzählerin in diese Welt, denn der Auftraggeber benötigt eine Sterneköchin für sein Restaurant hoch oben auf dem Berg. Dort will er eine elitäre, dekadente Klientel standesgemäß bewirten, um sie zu Investitionen in sein Projekt zu bewegen. Da die Erzählerin in mehrerlei Hinsicht heimatlos ist, lässt sie sich auf das von Anfang an dubiose Arrangement ein. Bald wird sie nicht mehr nur als Köchin fungieren, sondern weitere Aufgaben erfüllen. Im Laufe des Jahres, das sie sich dort aufhält, plagen sie jedoch zunehmend Zweifel und Gewissensbisse. Rückblickend erzählt sie den Lesern von ihrem Aufenthalt auf dem Berg.

    Dass die Autorin US-Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln ist, schlägt sich nicht zuletzt darin nieder, dass im „terra de miele e latte“ dem Essen sowie Nahrungsmitteln eine hohe Bedeutsamkeit zukommen, wie dies im asiatischen Kulturraum üblich ist. Sowohl die körperliche und emotionale Verfassung der Charaktere, ja sogar der Zustand der ganzen Welt spiegeln sich im Essen und der Auswahl der Nahrungsmittel. Das mag teilweise ungewohnt sein, birgt aber zusätzliche Deutungsebenen neben der in der Literatur allgemein bekannten Spiegelung der inneren Handlung in Landschaftsbeschreibungen und der diesbezüglichen Symbolik.

    Sprachlich experimentiert der Roman mit häufig parataktischen, aber keineswegs simplen Konstruktionen und dem oft ironisch-sarkastischen Unterton. Die Zeit- und Handlungssprünge, die vermutlich auch dem getrübten Erinnerungsvermögen der inzwischen schon gealterten Ich-Erzählerin zuzuschreiben sind, erfordern ein waches, reflektiertes Lesen. Dies erscheint aber angesichts der komplexen Thematik angemessen. All dies verleiht dem Roman zusammen mit ausgefallenen Farbschilderungen und mancherlei ungelöst bleibender Fragen etwas Surreales.

    Der Roman verzichtet auf einfache Antworten sowie eindimensionales Schwarz-Weiß-Denken, denn obwohl die Hybris und Machtgier des „Auftraggebers“ und seiner Tochter von Beginn an offenkundig sind, wirbt die Erzählerin immer wieder um Verständnis für die Motive der Beteiligten, sodass der Roman zeitweise den Charakter eines Bekenntnisses, einer Rechtfertigung erhält. Möglicherweise könnte man das Ende als allzu glatt empfinden, auch wenn es eine positive Botschaft für die Zukunft beinhaltet.

    Mir hat der Roman, der neben der Thematik der Umweltzerstörung auch die Rolle der Frau und die Reichweite persönlicher Freiheit hinterfragt, sowohl inhaltlich als auch stilistisch viel Vergnügen bereitet.

  1. Von Dekadenz und Hybris

    Kurzmeinung: Ich mag gnadenlose Satire!

    Eingebettet in die Geschichte einer jungen begabten Gourmetköchin, die einen begehrten, aber mit Restriktionen behafteten Job in einer italienischen Berglandschaft erhält, schreibt die Autorin eine bitterböse Gesellschaftssatire, in der es um den Umgang mit Nahrungsmitteln geht, um Genuß, Dekadenz, Dominanz und Hybris.
    Peripher geht es freilich um die Rettung der Welt, denn in der abgelegenen Bergregion versuchen ein reicher alleinherrschender Indurstriemagnat und seine Tochter, die Gentechnikerin Aida, ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten aufgrund von DNA-Spuren zu resurrectionieren. Die Täler und Städte sind durch eine dichte Smogdecke lichtabgedeckt, es gibt kaum noch Nahrung. Doch auf dem Berg geht es opulent, dekadent und verschwenderisch zu, ein beliebtes Dessert ist Eiscreme übergossen mit Schildkrötenblut. Erzählt wird aus der Rückblende aus der Sicht der Gourmetköchin.

    Der Kommentar und der Leseeindruck:
    Der Autorin ist ein beeindruckendes Experiment gelungen. Mit feiner Klinge spießt sie die Gepflogenheiten der Superreichen auf. Wie sie prassen und exotischen Genüssen frönen, während andere Menschen hungern. Und gleichzeitig wird die gourmetsche Lebensweise verteidigt. Der normale Plebs habe doch gar keine Zunge für solche Genüsse. Das Experiment liegt in der Art, wie die Autorin ihre Erzählung anordnet, in die Art, wie sie ihre Kritik anhand des Grundlegendsten überhaupt verpackt, ins Essen. Essen ist Leben. Aber Essen kann mehr sein. Ich denke an die vielen Kochsendungen heutzutage - auch dort findet eine Überhöhung des bloßes Vorgangs der Essenszubereitung statt!

    Es macht Spaß, die Autorin ihre Klinge führen zu sehen, gnadenlos und unbarmherzig ist sie dabei, vieles von dem, was sie durch das Romangeschehen nur indirekt anprangert, ist bereits verwirklicht:, die Reichen leben abgeschottet in ihrer Blase, in überbordender Dekadenz und Fülle. Auch ist ihnen eine spezielle Hybris zu eigen, ob es Elton John ist mit seinem Weltraumtourismus oder Bill Gates mit seinen Stiftungen oder viele andere, die Superreichen behalten sich vor, ihren eigenen Traum von der Weltenrettung zu finanzieren und zu leben; selbstverständlich auf Kosten der Allgemeinheit. Geht ja nicht anders, wie die Autorin ihre Protagonisten immer wieder neu erklären lässt. Und sie wissen es natürlich besser als alle anderen. Ich mag diesen Zynismus und auch die Bilder, die die Autorin vor meine Augen malt: sie treibt es auf die Spitze und ich amüsiere mich großartig. Dafür nehme ich ein paar Ungereimtheiten in der Erzählung in Kauf und auch die exzentrische dominanzgeprägte Ausformung einer lesbischen Liebe ist ja nur ein Beispiel für das Ausleben jeder Extravanz in gewissen Kreisen. Ich hätte sie alledings nicht gebraucht. Schwamm drüber.

    Fazit: Eine Dystopie, die eigentlich keine ist und den Umgang mit Nahrungsmitteln aufs Korn nimmt, sowie die Hybis und Dekadenz der Superreichen an die Wand nagelt, wenn nicht ans Kreuz. Sprachlich top.

    Kategorie: Dystopische Satire.
    Verlag: S. Fischer, 2024